Einführung

Unter allen pommerschen Herzogen ragt an Bedeutung und Größe Herzog Bogislaw X. weit hervor. Ist er auch anderen Fürsten seiner Zeit, die reich war an tatkräftigen und tüchtigen Persönlichkeiten, kaum gleich zu stellen, so ist doch für Pommern seine Regierung von grundlegender Wichtigkeit gewesen. Er war es schließlich allein, der die gesunkene Fürstenmacht wieder hob und die auseinanderfallende Herrschaft zusammenfügte, so daß sie noch 100 Jahre bis zum Aussterben des Herrscherhauses auch zusammenhielt. Er legte die Grundlage zu einem wirklichen Staatswesen, er schuf zuerst eine Art von Beamtentum, er organisierte mit nicht verkennbarem Geschicke die Verwaltung des Landes. So liegen seine hervorragendsten Verdienste auf dem Gebiete der inneren Politik. Für die äußere Stellung seines Landes vermochte er trotz aller Bemühungen nichts Sicheres zu schaffen. Das Verhältnis zu Brandenburg beschäftigte ihn in Krieg und Frieden die ganze Zeit seiner langen Regierung hindurch. Wenn es ihm einmal gelang, die wichtige Frage zu einer gewissen Lösung zu bringen, so war das weniger sein Verdienst als die Schwäche der brandenburgischen Regierung. Sie suchte aber bald darauf den Verlust wieder gut zu machen, und so blieb schließlich die Stellung Pommerns zum Nachbarstaate unsicher, und Bogislaw konnte die Angelegenheit nicht zu endgültiger Entscheidung bringen. Auch sonst sind die auswärtigen Unternehmungen des Herzogs wenig glanzvoll und erfolgreich. Trotzdem erschienen den Zeitgenossen und dem nachlebenden Geschlechte gerade die Kämpfe und Streitigkeiten, die er mit Untertanen oder Nachbaren ausfocht, in besonders hellem Lichte und erwarben ihm einen ganz eigenen Ruhmeskranz, während ihnen das Verständnis für seine Bedeutung auf dem Gebiete der inneren Politik abging. Ein gewisser Schimmer der Romantik umgab die Person des Herzogs, der trotz aller Hemmnisse sich zu einer Stellung durchrang, wie sie die Fürsten des Landes bisher noch nicht besessen hatten. Dieser Kampf mit Schwierigkeiten aller Art in und außer dem Lande brachte die Person des Herrschers auch dem Volke näher, das mit den Leiden und Beschwerden seines Helden mitfühlte und in den ihm begegnenden Widerwärtigkeiten ein Abbild der eigenen erblickte. Nicht ein auf der Höhe des Glückes stehender Fürst tritt den Untertanen in der persönlichen Empfindung besonders nahe, sondern einer, der wie andere Menschen zu ringen und zu kämpfen hat. So geschah es, das Bogislaw, obgleich er nie sonderlich sich der großen Masse der Bevölkerung seines Landes angenommen hat, sondern sogar energisch z. B. gegen die Bürger der größeren Städte und ihre Rechte vorging, trotzdem der Lieblingsheld seines Volkes wurde. An seinen Kämpfen und Heldentaten nahm es herzlich Anteil und wußte von ihnen zu singen und sagen. Je merkwürdiger dem einfachen Sinne der Pommern die Geschicke und Unternehmungen ihres Fürsten zu sein schienen, um so mehr erregten sie das allgemeine Interesse, und die stets rege Phantasie des Volkes schuf einen dichten Kranz von Erzählungen um die Person und Taten seines Helden. Was für das allgemeine Verständnis zu hoch, was minder ehrenvoll für den Herzog war, was nicht allgemeines Interesse fand, das wurde im Munde des Volkes umgestaltet, zu seinen Gunsten verändert und ausgeschmückt. Von den Anfängen namentlich des Fürsten und den wunderbaren Taten im fernen Morgenlande erzählte man sich mit besonderer Vorliebe, und hieraus entstanden bald Erzählungen, welche seine Person in einem Lichte erscheinen ließen, das der Wirklichkeit nur noch wenig entsprach. Es sind das nicht bewußte Geschichtsfälschungen, sondern Zeugnisse der lebendigen Kraft der Volksphantasie wertvoll als Beweise für die Anteilnahme, mit der das Volk die Person seines Helden begleitete. Aber diese Nachrichten sind sehr bald auch in die eben in jener Zeit erst entstehende pommersche Geschichtsschreibung eingedrungen und von den Chronisten als geschichtliche Tatsachen berichtet. Der Mangel an Kritik ließ sie nicht die Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüche erkennen, und in gutem Glauben gaben sie alles, was erzählt wurde, wieder. Am verhängnisvollsten für die Darstellung der pommerschen Geschichte ist es geworden, daß der erste, der in der Muttersprache die Geschicke des Landes bis in seine Zeit darstellte, Thomas Kantzow, in gutem Vertrauen und Glauben die Volksüberlieferung wiedergab. Ihm sind die späteren Forscher lange Zeit gefolgt, und erst nach Jahrhunderten hat eine besonnene Kritik angefangen, die Darstellung Kantzows zu beleuchten.1) Dadurch wird in vielen Fällen das Bild ein ganz anderes, als es bei dem Chronisten erscheint, und gerade manche der am meisten bekannten Erzählungen der pommerschen Geschichte müssen in das Gebiet der Märchen und Sagen zurückgewiesen werden. Verliert sie dadurch vielleicht auch hier und da an Romantik und allgemeinem Interesse, so gewinnt sie doch, was höher zu Schätzen ist, an Wahrheit.

Es ist schon hervorgehoben, daß die volkstümliche Darstellung besonders angesetzt hat an der Jugendzeit, den Regierungsanfängen Bogislaws und an seiner großen Reise, die ihn auch in das heilige Land führte. Im zweiten Falle ist das leicht verständlich durch das Wunderbare, das in dem Zuge in das märchenhafte Morgenland zu liegen schien. Mußten doch die Berichte von den Abenteuern, Kämpfen und Anstrengungen zu einer Ausschmückung derselben geradezu herausfordern. Nichts konnte die Phantasie mehr erregen, als die Erzählung von dem Kampfe mit den furchtbaren heidnischen Türken. Schwieriger zu erklären, aber deshalb um so interessanter und lehrreicher ist die Umgestaltung der ersten Zeit des Herzogs, bei der seine Stellung zu seiner Mutter, der Herzogin Sophia, eine besondere Rolle spielt. Es soll im Folgenden versucht werden, dies Verhältnis auf Grund der urkundlichen Nachrichten darzustellen und an der Hand derselben den Wert der durch Kantzow überlieferten Volkserzählung zu prüfen. Daß hierbei manche Fragen nicht vollkommen gelöst werden können, ist bei der mangelhaften Art einer nur auf Urkunden beruhenden Geschichtsdarstellung leicht zu verstehen. Dazu kommt, daß auch die urkundliche Überlieferung in Pommern sehr lückenhaft und spärlich ist. Für das Verständnis wird es nötig sein, auf die Persönlichkeit der Herzogin Sophia etwas einzugehen, doch ist es hier nicht die Aufgabe, eine vollständige Darstellung der Geschichte ihrer Zeit zu geben. Es soll dann auch der Versuch gemacht werden, zu erklären, wie sich die volkstümliche Überlieferung gebildet und wo sie an wirkliche Vorgänge angeknüpft hat.


1) Einen Anfang hat damit bereits Barthold an einigen Stellen seiner Geschichte von Rügen und Pommern (z. B. IV, 1. S. 368 ff.) gemacht. Energischer ist F. Rachsahl vorgegangen, als er die Quellenberichte des Stettiner Erbfolgestreites (1464-72) einer Kritik unterzog (Der Stettiner Erbfolgestreit, S. 13 ff.). SeinemVorbilde ist W. Brandt gefolgt (DerMärkische Krieg gegen Sagan und Pommern 1476-1479. Greifsw. Dissertation 1898. S. 40, 55 ff.).