II. Bogislaws X. Jugend.

Als das älteste Kind 1) wohl aus der Ehe Erichs und Sophias ist Bogislaw geboren. Als Geburtsjahr wird zuerst von Kantzow in einer Anmerkung zu der zweiten hochdeutschen Bearbeitung seiner Chronik2) 1454 bezeichnet. Diese Nachricht stammt wahrscheinlich von der Grabschrift des Herzogs in der St. Ottenkirche zu Stettin. Dieselbe lautete nach einer alten Abschrift:3) Bogislaus dei gratia dux Stettinensium Pomeranorum Cassubiorum et Vandalorum, princeps Rugiae et comes Guzkoviae natus anno Christi MCCCCLIIII, mortuus Stettini anno MDXXIII et in hoc arcis templo sepultus. Das Geburtsjahr 1454 stimmt auch zu der Angabe, welche die Mutter in dem später noch zu erwähnenden Schreiben vom 10. Juni 1475 macht. Sie nennt dort ihren Sohn Bogislaw eynen junglien heren von twintich jaren olt, wobei natürlich nur eine abgerundete Zahl gemeint ist. Kantzow giebt auch als genaues Datum der Geburt den 29. Mai an. Bei den späteren Chronisten wird zumeist der 28. Mai als der Geburtstag bezeichnet.4) Ob eine von diesen Nachrichten richtig ist, muß dahingestellt bleiben. Es ist immerhin zu beachten, daß Bugenhagen, der seine Pomerania im Auftrage Bogislaws schrieb und zu seiner Verherrlichung beizutragen nicht wenig bemüht war, auch leicht über ihn Nachrichten einziehen konnte, das Geburtsjahr seines Helden nicht zu kennen scheint. Aufzeichnungen des Datums der Geburt waren damals gewiß nicht üblich. Ist uns dasselbe doch für keins der früheren oder gleichzeitigen Mitglieder des Pommerschen Fürstenhauses überliefert. Dagegen darf nicht unerwähnt bleiben, daß selbst der vorsichtige Paul Friedeborn in seiner historischen Beschreibung von Alten-Stettin (I, S. 149) das ganz genaue Alter des Herzogs mit 69 Jahren, 4 Monaten und 2 Tagen angibt. Ob das auf einer Berechnung von dem gemeinhin überlieferten Datum aus oder auf einer ihm bekannten Notiz beruht, ist allerdings zweifelhaft. Klempin aber hat diese Angabe des Alters als glaubwürdig angesehen und von dem wirklichen Todestage, den auffallender Weise fast alle Chronisten sicher falsch nennen, ausgehend, als Geburtstag Bogislaws den 3. Juni ausgerechnet und in seine Stammtafel aufgenommen. Wenn aber, wie bemerkt, nicht einmal das Datum des Abscheidens richtig notiert ist, so bleibt doch ein Zweifel an dem anderen Datum mehr als berechtigt. Daß er zu Stolp geboren ist, überliefert zuerst Nikolaus von Klemptzen,5) während Petrus Chelopoeus 6) Rügenwalde als Geburtsort nennt. Nach den meisten Angaben hatte Bogislaw drei Brüder, Wartislaw, Kasimir und Barnim, sowie fünf Schwestern, Katharina, Sophia, Margaretha, Elisabeth und Maria.7) Aus dem schon erwähnten Schreiben der Herzogin Sophia vom 10. Juni 1475 geht jedoch hervor, daß damals sechs Töchter lebten. Es ist hier nicht der Ort, auf die Geschwister näher einzugehen.

Daß von der Jugend des Prinzen fast nichts zu berichten ist, muß bei dem Mangel aller chronikalischen Nachrichten als selbstverständlich gelten. Auch schon aus diesem Grunde sind die Erzählungen der späteren Geschichsschreiber als unsicher anzusehen. Versuchten Sie doch zu oft die fehlende Überlieferung wenn auch nicht immer durch eigene Erdichtung, so doch durch Übernahme der umlaufenden Erzählungen zu ersetzen. Was urkundlich für die Jugendzeit Bogislaws feststeht, ist nur wenig, aber merkwürdiger Weise ist das erste, was über ihn berichtet wird, seine Verlobung. Der Ribnitzer Chronist Lambert Slaggert erzählt, daß Anna, die 1447 geborene Tochter Heinrichs IV. von Mecklenburg, vortruwet was hertich Buggeslaf, deme vorsten tho Stettin; men er de tydt des haves quam, dat de vorste scholde nemen syne brut, ys se gestorven (1464 Sept. 7.)8) Nach der lateinischen Fassung9) der Chronik war die Prinzessin bei der Verlobung 14 Jahre alt, mithin fand sie 1461 statt, als der Bräutigam grade im Alter von 7 Jahren stand. Es ist aber genügend bekannt, daß solche frühen Verlobungen nicht selten waren.

Bei dem Ausbruche des pommersch-märkischen Krieges schickte Herzog Erich, wie sehr glaubwürdig erzählt wird, seine Gemahlin mit den Kindern nach Hinterpommern, um sie nicht den Fährlichkeiten des Kampfes auszusetzen. Am 1. September 1465 erschienen am Hofe des polnischen Königs Kasimir Gesandte des Pommernherzogs, welche auch um Aufnahme der Söhne Erichs in contubernium filiorum regis baten.10) Obgleich dieselben eine gnädige Antwort erhielten, scheint zunächst aus der Sache nichts geworden zu sein, denn am 7. August 1466 erschien Erich selbst bei Kasimir und bat noch einmal, er möge seinen älteren Sohn in seinen Dienst nehmen. Diesmal wurde, wie berichtet wird, der junge Prinz applicandus regiorum filiorum obsequio et contubernio angenommen.11) Hiernach - und es ist kein Grund zum Zweifel vorhanden - ergibt sich die interessante Tatache, daß Bogislaw, der wohl sicher unter dem älteren Sohne zu verstehen ist, am Hofe des Polenkönigs geweilt hat und dort Erziehung und Ausbildung genossen hat. Ist es auch ganz unsicher, wie lange der Aufenthalt gedauert hat, so erscheint es doch sehr wahrscheinlich, daß er neben den vier ältesten Söhnen des Königs, von denen der anmutige Wladislaw (geb. 1456) etwa in seinem Alter stand, den Unterricht des berühmten und hochgebildeten Johannes Dlugoß genoß. Ihm nämlich übertrug König Kasimir am 1. Oktober 1467 die Pflege seiner Söhne als „Lehrer und Leiter.“12) Ist diese Annahme richtig, So muß auch Bogislaw eine seine rhetorische Ausbildung genossen haben, von der allerdings in späteren Zeiten kaum etwas zu merken ist. Aber jedenfalls kann er nicht der rohe, unwissende Knabe gewesen sein, als den ihn die volkstümliche Erzählung darstellt. Eine gewisse Vorliebe für Polen hat ihn stets beherrscht, der Grund dazu mag in der Zeit seines Aufenthaltes am polnischen Königshofe gelegt sein. Es ist natürlich für uns sehr zu bedauern, daß jede Nachricht über denselben fehlt.

Urkundlich werden Bogislaw und sein Bruder Kasimir zuerst am 21. Oktober 1469 genannt.13) Ihr Vater Erich, der zusammen mit Wartislaw X. einen Vertrag mit den mecklenburgischen Herzogen schließt, besiegelt die Urkunde zugleich für seine genannten beiden Söhne. Nach dem Prenzlauer Frieden (1472 Mai 20) wurde, wie Kurfürst Albrecht am 26. Juni schreibt,14) auch über ein Heiratsprojekt verhandelt, nach dem einer der Söhne Erichs die Markgräfin Margaretha, Friedrichs II. Tochter, heiraten wolle, ein Plan, der bekanntlich später zur Ausführung gekommen ist. Interessant aber ist es, daß der Kurfürst dort schreibt, Erich wolle diesem Sohne schon jetzt einen Teil seines Landes überantworten. Dies scheint, wenn auch noch nicht sofort, so doch einige Zeit darauf tatsächlich geschehen zu sein. Hierfür können zwei Urkunden sprechen. Weniger noch die vom 13. Mai 1474, in der die Herzoge von Mecklenburg als die Herzoge von Pommern, mit denen sie ein Bündnis schließen, neben Erich und Wartislaw auch Bogislaw und Kasimir aufführen.15) Hier können auch die beiden jungen Söhne nur als die Erben mitgenannt sein, aber wie ist die Tatsache zu erklären, daß Bogislaw van gades gnaden tho Stettin der Pamern etc. hertoge und furste to Rugen am 1. Juli 1474, also 4 Tage vor dem Tode seines Vaters, ganz selbständig zu Stolp eine Lehnsurkunde ausstellt?16) Er erwähnt den Vater gar nicht, spricht von „unsem lande und herschop“, und als Zeuge wirkt der langjährige Kanzler Erichs II. Nikolaus Damitz mit. Dies scheint wirklich zu beweisen, daß Erich seinem Sohne nicht nur Anteil an der Regierung, sondern geradezu eigene Herrschaft bereits vor seinem Tode übertragen hat. Am 5. Juli 1474 wurde dann Bogislaw nach dem Abscheiden des Vaters unzweifelhaft Herr des Landes.

Dies sind die bisher bekannten, sicher beglaubigten Nachrichten aus der Jugendzeit, die, so gering und unbedeutend sie auch sind, doch manches neue Licht auf diese Jahre werfen. Nun haben wir uns der gewöhnlichen Überlieferung, wie Sie bei Kantzow erhalten ist, zuzuwenden und zu prüfen, wie sie sich zu den mitgeteilten Tatsachen verhält. Es wird für die Untersuchung notwendig sein, die Erzählung hier wörtlich in der Form wiederzugeben, wie sie uns in der ältesten Bearbeitung Kantzows vorliegt. Der Chronist erzählt in dem Teile seiner niederdeutschen Chronik, der wohl sicher als sein erster historiographischer Versuch gelten kann, wie folgt:17)  

Anno 1474 is hertoch Erike gestorven. So was id dorch lange und velerley krich darhen gelanget, dat der jungen hern weinig geroket18) wurt, sonderlik dewile erer vele weren. Do se averst mit der tit vorstorven bet up Wartislaff und Bugslaff do hefft dennoch de krich so vele thodhonde gegeven, dat hertoch Bugslaff alse da letzte in geliker unacht bleff und moste tho Rugenwolde mit den gemeinen scholern in die schole gan, und feilde em underwilen an scho und kleidern und ath mit den borgern, wat se hedden, denne de moder was em hart und gram, dat he weinich gunst by ebr hadde. Do he averst begunde etwes grot tho werden, do khumpt ein buhre tho em van N., de het Hans Lange, de sede: „Hertoch Bugslaff, wo geistu so hen, eft du nergen tho hus horst? Wultu nicht schyr froden,19) dat du ein furst byst?“ Do beklagede he sick syner moder hardicheit; so gaff he em rat, he scholde de moder bidden, dat se em ene avergeve, dat he syn buhre mochte syn und em de pacht geven. Dat dede hertoch Bugslaff und erhielt dorch de rede so vele, dat id da moder thofreden was. Do he dat deni buhren sede, do was de buhre fro und sede: „Hertoch Bugslaff; du schalt min sohne syn; averst ick kan wol gedencken, wen du nu thor regeringe khumst, werstu miner weinich gedencken. Darum schaltu mi thoseggen, wen du thom regimente khumst, dat du mi de tit mins levendes wilt fry geven an pacht, denste und landschate; und mehr beger ick nicht. So wil ick di vorstrecken, wat min vermogen is.“ So sede he em dat tho. Do geit de buhre thorn wantschnider und nympt want uth und kledede dhen hertogen van unden bet baven und khofte em ein perd und ein schwert und wat em dartho van noden was. Do dat de moder horde und de rede, hedden se ein wolgefallen daran, averst wusten nich, wohen id uth ginck. 

Diese Erzählung mit den angeführten sicheren Tatsachen aus Bogislaws Jugend in Einklang zu bringen, ist nicht ganz leicht. Zunächst, in welche Zeit haben wir die Tat des Bauern zu verlegen? Nach dem ganzen Zusammenhange paßt sie nur in die Jahre unmittelbar vor dem Tode des Herzogs Erich. Wenn wir nun festhalten, daß der pommersche Prinz 1466 aller Wahrscheinlichkeit nach an den polnischen Hof kam und dort gewiß doch einige Zeit verweilte, so müßte das Ereignis etwa 1468 oder später geschehen sein, als Bogislaw mindestens 14 Jahre oder älter war und am Königshofe sicherlich eine sorgfältige Erziehung genossen hatte. Ist es da denkbar, daß der junge Herr noch in die Schule zu Rügenwalde ging und sich von einem Bauern so bevormunden ließ? Auch wenn wir den Besuch der Schule und die Tat des Bauern zeitlich trennen und das eine in die Zeit vor dem Aufenthalte in Polen, das andere später verlegen, So bleibt doch immer noch rätselhaft die Person des Bauern, dem übrigens ein sehr allgemein üblicher Name beigelegt wird. Sie paßt so gar nicht in jene Zeit der Standesunterschiede, in der namentlich der Bauer durch eine weite Kluft von anderen, vor allem vom Fürsten geschieden war. 

Auch in sich selbst leidet die Erzählung, wie sie hier vorliegt, an Widersprüchen oder Unklarheiten. Zunächst scheint der Bauer sich aus Mitleid des vernachlässigten jungen Herrn anzunehmen, dann aber kommt heraus, daß ihn seine Schlauheit zu dem Vorgehen treibt, er will sich einen sehr erheblichen Vorteil verschaffen. Auch das Verhalten der Mutter gibt zu Bedenken Anlaß. Wenn Sie den Sohn so absichtlich verkommen ließ, warum gab sie ihm dann durch Erfüllung seiner Bitte selbst die Mittel in die Hand, sich ihrer Gewalt zu entziehen? Kurz, die mancherlei Unklarheiten müssen von vornherein die Erzählung, wie sie hier vorliegt, mindestens verdächtig machen. Dazu kommt nun ein Moment, das diesen Argwohn noch erheblich verstärkt, es ist die weitere Entwickelung und Ausbildung derselben. Es gilt auch hier das, was Rachfahl20) ganz treffend bei Besprechung der Überlieferung über den bekannten Vorgang an Herzog Ottos III. Sarge hervorhebt: „Zu den Kriterien, welche eine Erzählung dem Argwohne aussetzen, sie sei nur ein Produkt historischer Mythenbildung, gehört ihre Weiterentwicklung, auch dann, wenn Sie schriftlich schon fixiert ist, nach bestimmten Regeln in einer gewissen Tendenz zu immer größerer Bestimmtheit und Ausbildung ihrer einzelnen Details; sei es nun, daß sie zur Zeit ihrer ersten Fierung ihre völlige Ausbildung im Munde des Volkes noch nicht erlangt hat, sei es, daß sie infolge ihres mehr unbestimmten und flüssigen Charakters, sowie ihrer Widersprüche halber dem bewußten Fortbildner mehr Handhaben darbietet, zweckmäßige Änderungen, Deutungen und Umgestaltungen vorzunehmen, als das historische Faktum, dessen äußere Umrisse, wenn man ihm nicht offenbare Gewalt autun will, unverrückbar sind.“ 21) Betrachten wir hiernach die Erzählung von Bogislaws Jugend, wie sie in den späteren Bearbeitungen Kantzows vorliegt. In der ersten hochdeutschen Fassung 22) kommt neu hinzu der Zwist der Herzogin Sophia mit ihrem Gemahle, der auch die Ursache ward, daß sie den Sohns spinneveynd wart. Aus dem Verkehr des Prinzen mit den Rügenwalder Bürgern wird eine absichtliche, gegen die feindliche Mutter gerichtete Unterstützung Bogislaws durch jene. Ganz neu ist die Erzählung von dem Vergiftungsversuche und von der allgemeinen Meinung, die Herzogin habe tatsächlich ihre anderen Söhne ums Leben gebracht. Die Tat des Hans Lauge, als dessen Heimat nun auch bestimmt Lanzig genannt wird, ist hier in die Zeit nach Herzog Erichs Tode verlegt, ein besonders bemerkenswerter Umstand, da er, wie nachher gezeigt wird, mit den sicher beglaubigten Ereignissen durchaus nicht zusammenpaßt. Auch der hervorgehobene Widerspruch in der Handlungsweise der Mutter wird einigermaßen dadurch beseitigt, daß erzählt wird, die Mutter habe ihm den Bauern zu eigen gegeben, wiewohl schwerlich die lenge. Überall sehen wir eine deutliche Weiterbildung. Charakteristisch ist es ferner, daß Kantzow selbst das Wunderbare und Auffallende in der Erzählung zu fühlen scheint, denn er setzt hinzu: „Diesse Geschichte solte wol einer als ein Fabel ansehen. Aber es leben noch diessen tag Lewte, die da wissen, das es wahr ist, und viele habens auch von iren Eltern so gehort und noch wohl mehr, wan sich zu Schreiben gepurt“. Er beruft sich also direkt auf die mündliche Tradition, „die Geschichtsquelle, welche vermöge ihres Charakters den stärksten Trübungen von allen ausgesetzt ist.“23)  

In der zweiten hochdeutschen Bearbeitung24) wird als Motiv der von Abneigung zum Hasse gesteigerten Empfindung der Mutter die ablehnende Haltung des Herzogs ihr gegenüber hervorgehoben. Das Leben und treiben des jungen Prinzen wird in schwärzeren Farben ausgemalt. Bot doch gerade dieser Punkt der frei schaffenden Phantasie zahlreiche Anhaltspunkte zur Ausbildung und Ausschmückung und gab auch dem Chronisten Gelegenheit zu allgemeinen Betrachtungen. Das Eintreten des Bauern ist wieder, um den Zusammenhang der Ereignisse besser zu wahren, in die Zeit vor dem Tode Erichs verlegt, aber auch die Tat Langes ist weiter ausgemalt. Das war gleichfalls etwas, was das Gemüt des Volkes ergreifen und zu näherer Schilderung geradezu herausfordern mußte. 

Noch deutlicher wird die Weiterbildung, wenn wir die späteren Umarbeitungen der Kantzowschen Chroniken einsehen, wie sie in der von Rosegarten herausgegebenen Pomerania (II, S. 156 ff.) oder in der sogenannten Schomakerschen Chronik vorliegen.25) Es ist nicht nötig, auch hier auf die Einzelheiten einzugehen, aber es tritt deutlich das Bestreben hervor, das Bild der bösen Mutter noch schwärzer zu malen. Ganz neu treten z. B. die versteckte Anklage ihrer ehelichen Untreue und die Person ihres Hofmeisters Hans Massow hervor, zweierlei, das auch wieder Anlaß zu neuer Ausschmückung gegeben hat. Diese Erzählung ist dann immer allgemeiner geworden. Alle späteren Chronisten, die Sämtlich unter Kantzows Einfluß stehen, berichten, wie die Pomerania die Sache darstellt. Hervorzuheben ist, daß Bugenhagen über die ganze Jugend Bogislaws nichts erzählt. Es bleibt dabei allerdings zweifelhaft, ob zu seiner Zeit die Tradition sich noch nicht gebildet hat oder ob er die Erzählung absichtlich verschwiegen hat. Wenn Sie damals schon im Volke umlief, muß Bugenhagen, der in Rügenwalde geweilt hat und sich sonst wiederholt auf mündliche Überlieferung beruft,26) sie auch gehört haben. Ebenso wenig überliefern sie Balentin von Eickstedt und David Chytraeus, vielleicht ein Beweis dafür, daß sie an die Wahrheit nicht geglaubt haben. 

Aus allem geht deutlich hervor, daß die ganze Darstellung keinen Glauben verdient. Wie kaum sonst, findet sich hier eine immer weiter auf die Details eingehende, im einzelnen ganz genau zu verfolgende Fortbildung einer Erzählung, die schon in der ältesten Form genügend Anlaß zu Zweifel gibt. Sie findet sich nur bei den eine und dieselbe Quelle benutzenden Geschichtsschreibern, sonst sind nicht einmal Andeutungen zu finden. Sie läßt sich nicht mit den allerdings sehr dürftigen historisch sicheren Nachrichten in Einklang bringen. So ist wohl sicher anzunehmen, daß die ganze Geschichte in das Gebiet der Volksdichtung gehört. Denn keineswegs ist die Meinung richtig, daß etwa Kantzow sie frei erfunden hat, nein er hat gewiß in gutem Glauben die mündliche Erzählung aufgenommen, die vielleicht schon bei Bogislaws Lebzeiten umlief. Sie entstand aber erst, als der Herzog durch die der großen Menge imponierende Macht seiner Herrschaft, durch die Erfolge seiner Regierung, durch seine wunderbaren Heldentaten mehr als frühere Herrscher hervortrat und ein Lieblingsheld seiner Untertanen wurde. Aber es muß doch der volkstümlichen Erzählung irgend ein historischer Kern zu Grunde liegen. An den langen Aufenthalt der herzoglichen Familie in Rügenwalde, an den kindlichen Verkehr der jungen Herren mit Bürgerkindern, an eine vielleicht durch mehrfache Abwesenheit der Mutter und durch die Kriegsnöte hervorgerufene Vernachlässigung ihrer Kinder hat die Mythenbildung unzweifelhaft angeknüpft. Dem herangewachsenen Prinzen ist dann vielleicht zur Bestreitung notwendiger Bedürfnisse das Dorf Lanzig zu eigen gegeben. Die so populär gewordene Person des Hans Lange wird wohl überhaupt nicht als historisch anzusehen sein. Es findet sich in den zahllosen Urkunden des Herzogs auch nicht eine Spur desselben, wobei allerdings zugegeben werden muß, daß damals in urkundlichen Schriftstücken ein Bauer kaum eine Stelle finden konnte. Die Unwahrscheinlichkeit der Erzählung wird noch deutlicher werden, wenn wir im folgenden auf die Ereignisse eingehen, die sich an den Regierungsantritt Bogislaws anknüpfen.


1) Die Reihenfolge der Kinder Erichs II. festzustellen, erscheint unmöglich, da die Anordnung bei Bugenhagen und in den beiden hochdeutschen Redaktionen der Kantzowschen Chronik stets eine andere ist. Vermutlich aber war Bogislaw wenigstens unter den Söhnen der älteste, wenn nicht Barnim, von dem nichts als der Name überliefert ist, Anspruch auf diese Stelle hat.
2) ed. Gaebel I, S. 283, Anm. 3.
3) K. St. A. St.: Stett. Arch. P. 1. tit. 46, Nr. 30 a.
4) Val. von Eichstedt epitome annal. Pomeran. ed. Balthasar p. 101. W. Jobst, Genealogia (1578), Dav. Chytraeus, Chron. Saxon. fol. 4. Andr. Hiltebrand diarium Pomeran. S. 35.
5) Handschr. Genealogie (Bibl. d. Ges. für pomm. Gesch. und Altertumskunde Ia Fol. 2) fol. 9v.
6) De Pomeranorum regione et gente. Handschr. der eben genannten Bibliothek, Loeper Mser. 44.
7) Bugenhagens Pomerania ed. Heinemann, S.151. Kantzow ed. Gaebel I, S. 815. II, S. 193.
8) Vgl. Mekl. Jahrbücher 50, S. 199.
9) Westphalen Monum. ined. IV, fol. 871.
10) Dlugoß XIII, 354
11) Dlugoß XIII, 377.
12) H. Zeißberg, Die polnische Geschichtsschreibung des Mittelalters, S.237 f.
13) Lisch, Urkunden zur Geschichte des Geschlechts von Behr IV, S. 955.
14) F. Priebatsch a. a. O. I, S. 423 f.
15) Abschr. im Geh. Haupt. und Staatsarchiv zu Schwerin.
16) K. St. A. St.: Ducalia.
17) Boehmer, S. 134f.
18) roken m. Gen. sich kümmern um jemand.
19) einsehen, bedenken.
20) Der Stettiner Erbfolgestreit, S. 78.
21) Vgl. E. Bernheim, Lehrbuch der histor. Methode, S. 880 ff.
22) ed. Gaebel II, S. 193 ff.
23) Bernheim a. a. O. S. 380.
24) ed. Gaebel I, S. 316 ff.
25) Programm des Gymnasiums zu Guben 1864, S. 15 f.
26) Bugenhagens Pomerania, herausg. v. Heinemann, S. LIII f.