Pommern im 19. Jahrhundert.

Im Zusammenhang mit der Neueinteilung des preußischen Staates wurde durch den Erlaß vom 30. April 1815 und durch ergänzende Bestimmungen der folgenden Jahre die Provinz Pommern gebildet und durch einige neumärkische sowie uckermärkische Gebietsteile (u. a. die Kreise Dramburg und Schivelbein) vergrößert. Die neue Provinz zerfiel in 26 Kreise und war in die drei Regierungsbezirke Köslin, Stettin und Stralsund geteilt, von denen der letzte 1932 mit Stettin vereinigt worden ist. Besondere Verdienste um die Verwaltung erwarb sich der erste Oberpräsident Johann August Sack (1816-1831), der mit großer Tatkraft die Wirtschaft des Landes wieder in gesunde Bahnen zu lenken versuchte und sich um die Hebung des geistigen Lebens mit Erfolg bemühte. Den Bewohnern Neuvorpommerns erleichterte man die Eingewöhnung in den preußischen Staat dadurch, daß man ihnen zunächst noch manche altgewohnten Einrichtungen beließ.


Oberpräsident Johann August Sack (t 1831).
der die neue Verwaltungseinteilung und den Wiederaufbau Pommerns durchführte und das geistige Leben der Provinz (u. a. durch Gründung der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde) entscheidend beeinflußte.

Mit der Zeit wurden die schwersten Schäden der verflossenen Kriegsjahre geheilt, und das Land begann neu aufzublühen. Durch den Bau von Kunststraßen (die erste von Stettin nach Gartz, 1822-1827) und Eisenbahnen (die erste von Stettin nach Berlin, 1843), durch Verbesserung der Wasserstraßen und Einrichtung von Dampferlinien (die erste 1826 von Stettin nach Swinemünde) Schuf man die Grundlagen für einen gesteigerten Handelsverkehr. Besonders Stettin entwickelte sich durch Vergrößerung der Hafenanlagen und durch Vertiefung der Wasserstraßen in ungeahnter Weise. Es wurde nicht nur der bedeutendste deutsche Ostseehafen, sondern in zunehmendem Maße auch Mittelpunkt der pommerschen Industrie, die unter den neuen Verhältnissen einen schnellen Aufstieg nahm.


Ansicht von Stettin 1839.
Nach einem Gemälde von L. G. Lütke im Stettiner Stadtmuseum.

In der Hauptsache blieb Pommern aber ein Land der Landwirtschaft. Selbstverständlich traten auch auf diesem wichtigsten Lebensgebiete der Provinz umwälzende Änderungen ein, vor allem durch den Wechsel der Arbeitsmethoden (Anwendung von Maschinen, künstliche Düngung, Einführung der Schlageinteilung und des Fruchtwechsels), dann durch die Einrichtung von Landwirtschaftsschulen und durch das Wirken landwirtschaftlicher Vereine. Weniger glücklich war dagegen die Neuordnung der bäuerlichen Besitzverhältnisse, bei der, in Abschwächung der Steinschen Reformvorschläge, ein großer Teil des von bäuerlichen Wirten besessenen Bodens an die Gutsherrn überging, so daß der Großgrundbesitz über Gebühr zunahm. Man suchte zwar diesen Vorgängen durch Landaufteilungen und Einrichtung von Siedlerstellen hier und da entgegenzuwirken, doch blieb der Erfolg bescheiden. Es bildete sich infolgedessen aus landlosen Tagelöhnern und Instleuten ein ländliches Proletariat, das den Verlockungen der großen Städte (Stettin, Berlin) und fremden Länder (Amerika) bald nicht mehr widerstehen konnte und abwanderte. Diese "Landflucht" des 19. Jahrhunderts, zu der noch die Auswanderung zahlloser Leute kam, die sich der Union der beiden evangelischen Kirchen von 1817 nicht fügen zu können glaubten, bedeutete bevölkerungspolitisch eine schwere Belastung für die Provinz. Gering wog dagegen die allmähliche Entwicklung des Bäderverkehrs an der Ostsee, durch den immerhin der kümmerlich lebenden Einwohnerschaft mancher Fischerdörfer neue Einnahmequellen erwuchsen, die im Laufe der Zeit immer bedeutender wurden.


Wiesen vor Greifswald.
Nach einem von Caspar David Friedrich
(geb. 1774 in Greifswald, gest. 1840 in Dresden)
in der Hamburger Kunsthalle.

Am politischen Leben Preußens und dann des Reiches hat Pommern natürlich rege teilgenommen. Die Ereignisse von 1848 fanden hier nur geringen Widerhall, weckten aber in weiteren Kreisen den Sinn für die Politik und das Verständnis für größere geschichtliche Zusammenhänge. Als äußeres Zeichen dieses politischen Erwachens entstanden überall im Lande Tageszeitungen. So wußten Pommerns Söhne, um was es ging, als sie in den alten stolzen Regimentern des zweiten Armeekorps 1866 und 1870/71 kämpften und bluteten. Mit dem aus Pleushagen bei Kolberg stammenden Genera1 v. Roon stellte Pommern den Vater der preußischen Heeresreform.

Den glänzenden Aufstieg des Reiches nach 1870 machte auch Pommern mit; es war eine vortrefflich verwaltete und wohlhabende Provinz geworden. Stettin, dessen enger Festungsgürtel 1873 fiel, entwickelte sich durch die günstigen Bedingungen, die Handel, Schiffahrt und Industrie hier fanden, unablässig weiter. Dagegen begann dem Lande jetzt, infolge des wachsenden Verkehrs und der Freizügigkeit, etwas verloren zu gehen, was es jahrhundertelang durch alle Not- und Kriegszeiten treu bewahrt hatte: ein gut Teil seines alten Volkstums. Gute alte Sitten, bewährte Einrichtungen und Gebräuche wurden voreilig und übermütig geopfert, ohne daß man erkannte, welche wertvollen und unersetzlichen Güter man damit aus den Händen gab. Dafür brachten die politischen Parteien jetzt Zwist und Unzufriedenheit in das Volk, so daß trotz allen äußeren Glanzes in vielen Kreisen Mißstimmung und Eigensucht herrschten.