Sagenhaftes über Rügenwalde

Entnommen aus „Sagen aus Pommern“ von Siegfried Neumann.

Irrlichter an der Toten Glawnitz

An der Toten oder Kraut-Glawnitz breiten sich Sümpfe aus. Auf diesen sollen sich in dunklen und stillen Herbstnächten Irrlichter zeigen. Damit soll es folgende Bewandtnis haben:

Als im vorigen Jahrhundert in Rügenwalde die Schiffahrt noch blühte, fanden sich im Frühjahr alle, die aus dem Amt nach Danzig angeheuert waren oder sich noch wollten anheuern lassen, in Iershöft zusammen, um die Weiterreise zu Wagen gemeinsam anzutreten.

Nach fröhlichem Abschiedstrunke geriet dabei einstmals ein voll mit Matrosen besetzter Wagen in der Dunkelheit in eine tiefe und morastige Stelle der Glawnitz. Alle ertranken, ohne daß man am nächsten Morgen die Leichen auffinden konnte. Sie waren schon zu tief im Moorboden versunken.

Die Geister der Ertrunkenen können aber keine Ruhe finden und erscheinen dem einsamen Wanderer als hüpfende Irrlichter, die ihn nach der trügerischen Stelle hinlocken, um dann plötzlich zu verschwinden, damit er auch dort seinen Untergang findet.

Auch in anderen Stranddörfern erzählt man von Irrlichtern, erklärt sie aber als die ruhelos umherirrenden Seelen von ungetauften, eines unnatürlichen Todes gestorbenen Kindern.

Das gestörte Kartenspiel

Früher war der Marienturm zu Rügenwalde weit höher als heute. Über den Glocken war eine Stube für den Turmwächter eingerichtet. Der litt des Abends oft an Langeweile. Da hatte er dann mit einem Schuster und Schneider verabredet, daß sie ihn da oben besuchen sollten, um sich mit Kartenspiel die Zeit zu vertreiben. Jedesmal, wenn der Wächter Lust hatte, zu karten, hängte er eine rote Laterne aus einer Luke am Turme heraus. Das war das verabredete Zeichen.

Eines Abends heulte der Sturm wieder mächtig um den alten Turm. Der Wächter gab das verabredete Zeichen, und bald saßen die drei Gesellen um den Tisch herum und karteten nach Herzenslust. Jedesmal, wenn die Uhr eine volle Stunde anschlug, machte der Wächter einen Rundgang und sah durch die vier Luken, ob sich auch Feuerschein zeigte. Allein alles war schwarze, dunkle Nacht. Soeben hatte es zwölfe geschlagen. Der Rundgang war vollendet, und der Wächter setzte sich wieder an den Tisch, um das Spiel fortzusetzen. Da rumorte es unten im Turm. Langsam stieg einer die Treppe in die Höhe, der mit dem einen Fuße immer anstieß.

"Na, wer kommt denn da noch so spät?", fragte mürrisch der Wächter, als sich die Tür öffnete und ein unbekannter Gast in kaffeebraunem Rock erschien. "Da bin ich, ihr habt mich gerufen." - Daran konnte sich nun freilich keiner von den Dreien erinnern. Nur der Schneider hatte vorhin ausgerufen: "Wenn ich diese Karte nicht gewinne, dann soll mich der Teufel holen!" und das Spiel verloren. Daran dachte aber keiner.

"Wenn du nun schon doch einmal den Turm heraufgeklettert bist, dann mache es dir bequem, setz dich hin und halt mit!" meinte der Wächter. Das ließ sich der Kaffeebraune nicht zweimal sagen. Wunderbar! Er gewann immer, mochte er auch die schlechtesten Karten haben. Da fiel dem Schneider eine Karte zur Erde. Er bückte sich danach und sah bei dieser Gelegenheit, daß der neue Nachbar einen Pferdefuß hatte. Nun wußte er, wer der unheimliche Spieler war. Voller Schreck ließ er auch die anderen Karten fallen und fing an, den alten Bannspruch zu beten:

"Ihr Höllengeister packet euch,
Hier habt ihr nichts zu schaffen!"

Da gab es einen lauten Knall. Rauch stieg auf, und der ungebetene Gast verschwand, einen Höllengestank hinterlassend. Der Turmwächter aber mußte fortan seine Abende einsam zubringen; seine beiden Gesellen, besonders der Schneider, fürchteten sich zu sehr.

Das Bozelgeld in Schlawe

Die Stadt Schlawe muß jährlich an die Stadt Rügenwalde eine Abgabe bezahlen, die den Namen Bozelgeld führt. Die Abgabe und der Name sind auf folgende Weise entstanden:

In dem Dorfe Altschlawe hart an der Wipper lag vor vielen Jahren eine Burg, in welcher ein Graf als boshafter Raubritter sein Unwesen trieb. Insbesondere raubte er auch jährlich aus der Stadt Schlawe eine gewisse Anzahl Jungfrauen, die er in seiner Burg einsperrte; und dabei war er so boshaft, daß er, wenn er in einem Jahre die Zahl nicht voll hatte, allen den anderen die Köpfe abschlagen ließ. Die Bürger von Schlawe hatten solche Ungebühr lange Zeit ertragen, weil sie gegen den gefährlichen Ritter nicht aufkommen konnten. Zuletzt aber wurde es ihnen zu arg, und sie versammelten sich nun, um zu beraten, wie sie der Not und des Elends loswerden könnten. Sie konnten indes kein Mittel ausfindig machen und mußten ohne Rat wieder auseinandergehen.

Nun hatte aber der Bürgermeister von Schlawe eine Tochter, die eine ebenso schöne als kluge und brave Jungfrau war. Als die erfuhr, worum es sich handelte, hatte sie schnell einen Plan erdacht, wie man des wilden Grafen ohne große Gefahr habhaft werden könne. In der Nähe von Altschlawe nach der Burg hin lag nämlich ein Nußwäldchen; dahin wollte die Jungfrau ganz allein gehen, als wenn sie Nüsse suchen wolle. Der Ritter würde sie dann sehen und geschwind herbeieilen, um sie zu fangen. Nun sollten die Männer von Schlawe sich in dem Gebüsch versteckt halten und über ihn herfallen und ihn fangen.

Der Bürgermeister hatte seine Tochter sehr lieb und wollte daher in ihren Plan nicht willigen, weil er ihm zu gefährlich für sie zu sein schien. Er mußte indes endlich nachgeben. Es ging darauf auch alles so, wie die kluge Jungfrau es sich gedacht hatte. Der Ritter war nur mit geringer Mannschaft aus der Burg gekommen, um sie zu fangen, und so gelang es den Bürgern leicht, seiner habhaft zu werden. Sie legten ihn darauf in Ketten und führten ihn im Triumphe in die Stadt, wo sie ihn in einen tiefen Kerker warfen und dann Gericht über ihn hielten und ihn zum Tode verurteilten.

Dieses Urteil konnten sie aber nicht so eigenmächtig vollstrecken, sondern sie mußten es erst von dem Herzoge in Stettin unterschreiben lassen. Sie schickten es daher nach Stettin. Allein nun traf es sich, daß der Herzog mit dem Raubgrafen gut Freund war; er schrieb deshalb unter das Urteil die Worte: "Kop af nich loat läwen." Das schrieb er, ohne irgendein Zeichen zwischen die Worte zu setzen, so daß es einen ganz zweideutigen Sinn hatte und man daraus entnehmen konnte, was man wollte. Die Bürger deuteten es aber zu ihren Gunsten und ließen dem Ritter den Kopf abschlagen. In ihrer großen Freude gingen sie sogar so weit, daß sie einen großen Freudentag hielten und mit dem abgeschlagenen Kopfe auf dem Markte herumkugelten, was im Plattdeutschen "bozeln" heißt.

Als das nun der Herzog in Stettin erfuhr, wurde er sehr zornig und legte die Worte anders aus, und er belegte die Stadt mit einer Geldstrafe, welche sie nach Rügenwalde geben mußte und wozu jeder Bürger zu gleichem Teile beitragen sollte. Von dem Bozeln mit dem Kopfe des Ritters hieß diese Strafe das Bozelgeld.